§§ 145, 156 BGB, eBay-AGB; BGH, Urteil v. 24.08.2016 - VIII ZR 100/15
Schuldrecht
Allgemeines Schuldrecht
Besonderes Schuldrecht 1 (Vertragliche SV)
Besonderes Schuldrecht 2 (Gesetzliche SV)
Kaufvertrag
Vertragsschluss
Sittenwidrigkeit
Schadensersatz
Rücktritt
Zustandekommen des Vertrages bei einer Online-Auktion (eBay)
Bedeutung von AGB bei der Auslegung von Verträgen
Online-Auktion als Versteigerung i.S.d. § 156 BGB (eBay)
Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB
Wirksamkeit von Willenserklärungen beim sog. Shill Bidding (eBay)
Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB bei einer Online-Auktion (eBay)
Sachverhalt
Im Juni 2013 bot der Beklagte B auf der Internet-Plattform eBay unter dem Benutzerkonto „g.“ unter Vorgabe eines Startpreises von EUR 1,00 und einer Auktionsdauer von zehn Tagen einen gebrauchten Pkw VW Golf 6 zum Verkauf an. Die Auktion erfolgte auf der Grundlage der zu dieser Zeit maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay (im Folgenden: eBay-AGB, hier auszugsweise):
§ 10 eBay-AGB. Auktion, Auktion mit Sofort-Kaufen-Option, Multiauktion und Angebot an unterlegene Bieter
(1) 1Stellt ein Anbieter auf der eBay-Website einen Artikel im Angebotsformat Auktion ein, gibt er ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrags über diesen Artikel ab. 2Dabei bestimmt der Anbieter einen Startpreis und eine Frist (Angebotsdauer), binnen derer das Angebot per Gebot angenommen werden kann. 3Der Bieter nimmt das Angebot durch Abgabe eines Gebots über die Bieten-Funktion an. 4Das Gebot erlischt, wenn ein anderer Bieter während der Angebotsdauer ein höheres Gebot abgibt. 5Bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots durch den Anbieter kommt zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag über den Erwerb des Artikels zustande.
(2) 1Jeder Bieter kann bei einer Auktion ein Maximalgebot abgeben. 2Das Maximalgebot stellt den Höchstbetrag dar, den der Bieter bereit ist, für den Artikel zu bezahlen. 3Das Maximalgebot bleibt dem Anbieter und anderen Bietern verborgen. 4Bieten weitere Mitglieder auf den Artikel, so wird das aktuelle Gebot automatisch schrittweise erhöht, so dass der Bieter so lange Höchstbietender bleibt, bis sein Maximalgebot von einem anderen Mitglied überboten wurde.
(3) 1Anbieter können für eine Auktion unter bestimmten Voraussetzungen einen Mindestpreis festlegen, der vom Startpreis abweicht. 2In diesem Fall kommt ein Vertragsschluss nicht zustande, wenn das Gebot des Höchstbietenden bei Ablauf der Auktion den Mindestpreis nicht erreicht. […]
(4) Angebote können unter bestimmten Voraussetzungen auch mit der Option Sofort-Kaufen (Festpreis) versehen werden. […]
(6) 1Mitglieder dürfen den Verlauf einer Auktion nicht durch die Abgabe von Geboten unter Verwendung eines weiteren Mitgliedskontos oder durch die gezielte Einschaltung eines Dritten manipulieren. 2Insbesondere ist es dem Anbieter untersagt, selbst Gebote auf die von ihm eingestellten Angebote abzugeben. 3Bei Zuwiderhandlungen darf eBay das Mitglied verwarnen, seine Nutzungsrechte beschränken und/oder sein Benutzerkonto zeitweilig oder dauerhaft sperren. […]
Zugleich gibt eBay den Bietern bei solchen Auktionen, abhängig von der Höhe des aktuellen Gebots, einen Mindestbetrag, um den die Teilnehmer das aktuelle Höchstgebot überbieten müssen, vor. Die Auktion begann am 20.06.2013 um 7:55 Uhr. Das erste Gebot i.H.v. EUR 1,00 gab ein namentlich nicht bekannter Dritter über das Benutzerkonto „h***8“ ab. Der Kläger K gab über sein Benutzerkonto „m.“ im Laufe des ersten Tages der Auktionslaufzeit mehrere Maximalangebote ab, durch die er zeitweise auch als Höchstbietender ausgewiesen wurde. Sein zuletzt um 15:37 Uhr abgegebenes Maximalgebot auf das zum Verkauf stehende Fahrzeug betrug EUR 17.000,00. Als einziger weiterer Bieter neben K beteiligte sich B in verdeckter Form selbst an der Auktion, indem er über sein weiteres Benutzerkonto „k***k“ nacheinander eine Reihe jeweils erhöhter Maximalgebote abgab, und zwar zuletzt um 12:43 Uhr i.H.v. EUR 17.000,00. Mit diesem Betrag blieb er bis zum Auktionsende am 30.06.2013 Höchstbietender, nachdem K sein um 15:37 Uhr in gleicher Höhe abgegebenes Maximalgebot nicht mehr weiter erhöht hatte und deshalb aufgrund seines zeitlichen Nachrangs unterlegen war. Noch während der Laufzeit der Auktion, nämlich am 24.06.2013, bot B über sein Benutzerkonto „g.“ dasselbe Fahrzeug erneut im Rahmen einer eintägigen eBay-Auktion zu einem Startpreis von EUR 1,00 an. In diesem Fall gab ein unbekannter Dritter ein Gebot über EUR 16.500,00 ab, wurde aber ebenfalls durch ein Eigengebot des B (ebenfalls über das Benutzerkonto „k***k“) überboten. Anfang August 2013 forderte K den B mit Anwaltsschreiben unter Fristsetzung auf, ihm das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von EUR 1,50 zu übereignen. Nachdem B ihm innerhalb der gesetzten Frist mitgeteilt hatte, das Fahrzeug zwischenzeitlich veräußert zu haben, erklärte K den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Zahlung von Schadensersatz i.H.v. EUR 16.500,00.
Zu Recht?
Einordnung:
Die sogenannten „eBay-Fälle“ beschäftigen den BGH immer wieder in verschiedenen Konstellationen. Besonders herauszuheben sind dabei die Urteile zur vorzeitig abgebrochenen eBay-Auktion1BGH NJW 2016, 395., zur Sittenwidrigkeit bei grobem Missverhältnis2BGH NJW 2015, 548. oder zur Auslegung der eBay-AGB3BGH NJW 2015, 1009.. Der Schwerpunkt in den sogenannten „eBay-Fällen“ liegt meist in der Auseinandersetzung mit der Problematik des Vertragsschlusses und damit der notwendigen Willenserklärungen. Rechtsprobleme rund um die Auktionsplattform sind geeignetes Klausurthema, insbesondere in den ersten Semestern. Rechtliche Probleme drehen sich zumeist um die Wirksamkeit von Angebot oder Annahme, und sind damit als Prüfungsarbeit für junge Studierende prädestiniert. Das vorliegende Urteil des BGH zeigt, dass auch aktuelle Probleme mit den Kodifizierungen des Allgemeinen Teils des BGB von 1900 gelöst werden können. Der Unterschied zu anderen „eBay-Fällen“ ist in der Lösung dieses Falls darin zu erblicken, dass der Verkäufer hier nicht mittels der vorzeitigen Beendigung einer Auktion, sondern mittels Hochtreibens des Kaufpreises (sog. Shill Bidding) versucht, das Zustandekommen des Kaufvertrags zu verhindern. Der BGH bestätigt seine Rechtsprechung in Bezug auf das Zustandekommen von Verträgen auf derartigen Internetauktions-Plattformen über die §§ 145ff. BGB und nicht wie bei einer Versteigerung durch Zuschlag gem. § 156 BGB. Bei der Lösung sind auch die eBay-AGB mit einzubeziehen. Eine Auseinandersetzung mit der Sittenwidrigkeit und dem Gebot nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ist notwendig.
Leitsätze:
Das auf der eBay-Internetplattform mit Eröffnung der Auktion erklärte Angebot eines Anbieters ist sowohl nach § 145 BGB als auch nach den zur Erläuterung des Vertragsschlussvorgangs aufgestellten eBay-Bedingungen darauf angelegt, „einem anderen“ als dem Anbieter die Schließung eines Vertrags anzutragen. Das Angebot kann deshalb nur durch einen vom Anbieter personenverschiedenen Bieter angenommen werden. Das über ein zweites Mitgliedskonto unzulässig auf ein eigenes Angebot abgegebene Gebot eines Anbieters ist unwirksam und bleibt in der Reihe der abgegebenen Gebote unberücksichtigt. Ein regulärer Bieter muss es deshalb auch nicht übertreffen, um Meistbietender zu werden oder zu bleiben.
§ 156 BGB findet auf eBay-Auktionen keine Anwendung (Bestätigung von Senat, BGH NJW 2002, 363; NJW 2005, 53).
Musterlösung
A. Anspruch K gegen B
K verlangt von B die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von EUR 16.500,00. Als Anspruchsgrundlage hierfür kommt §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB in Betracht.
I. Schadensersatz neben Rücktritt, § 325 BG
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